Bericht
„Warum die deutsche Wirtschaft Alarm schlägt“

Unten ist immer besser – da ist die Wirtschaft unverletzbar

Im Vergleich zur ersten Hälfte des letzten Jahres ist die Zahl der Konkurse um 30 Prozent gestiegen

Die wirtschaftliche Lage in Deutschland wirft immer mehr Fragen auf. Im ersten Halbjahr 2024 gab es laut Creditreform, dem Verband der Wirtschaftsforscher, rund 11.000 Unternehmensinsolvenzen, die höchste Zahl seit 2016. Im Vergleich zur ersten Hälfte des letzten Jahres ist die Zahl der Konkurse um 30 Prozent gestiegen. Gleichzeitig war die Zahl der mittleren und großen Unternehmen mit einem Jahresumsatz von über 50 Millionen Euro wie Galeria Karstadt und FTI-Touristik deutlich höher. Im vergangenen Jahr gingen in Deutschland bereits 17.814 Unternehmen in Konkurs, ein Anstieg von mehr als 10 Prozent gegenüber 2022. Und dann gab es auch einen starken Anstieg der Insolvenzen von Großunternehmen. Unter den Pleitiers waren auch Unternehmen mit einer langen, ja jahrhundertealten Geschichte, wie die bayerische Viechtacher Gesellschaftsbrauerei, die 470 Jahre lang existierte und in diesem Jahr in Konkurs ging, oder das sächsische Hüttenwerk Eisenwerk Erla GmbH, das im vergangenen Jahr nach 640 Jahren Arbeit in Konkurs ging.

Bereits Anfang Juni sagten Wirtschaftsexperten voraus, dass die Zahl der Insolvenzen bis 2024 auf rund 20.000 Unternehmen ansteigen könnte. Der stetige Anstieg der Insolvenzen – von 3.480 Unternehmen im 1. Quartal 2022 auf 5.800 Unternehmen im 2. Quartal 2024 (siehe Schaubild 1) – deutet jedoch eindeutig darauf hin, dass die Zahl der Insolvenzen die genannten 20.000 deutlich überschreiten und mit dem Niveau der frühen 2010er Jahre vergleichbar sein wird, als sich Deutschland und Europa insgesamt noch von der Großen Rezession 2008-2009 und der europäischen Schuldenkrise 2010-2012 erholten. Aber sollten wir uns mit dem Gedanken trösten, dass wir in diesem Jahr wahrscheinlich nicht den Rekord von 2009 brechen werden, als rund 33.000 Unternehmen in Konkurs gingen? Ich bin sicher, das sollen wir nicht tun!

Massenkonkurse deutscher Unternehmen sind jedoch nicht die einzige Bedrohung für unsere Wirtschaft. Gleichzeitig gibt es eine wachsende Zahl von Unternehmen, die den weiteren Ausbau ihres Geschäfts in Deutschland aufgeben und ihre Produktionsstätten ins Ausland verlagern. Eine IHK-Umfrage aus dem Jahr 2022 ergab, dass bereits zu diesem Zeitpunkt 16 Prozent der befragten Unternehmen erwägen, den Standort Deutschland aufzugeben oder bereits mit der Verlagerung ihrer Produktionsstätten begonnen haben. Bis August 2023 hatte sich ihr Anteil auf 32 % genau verdoppelt, und im Juni 2024 waren die Flüchtlingsunternehmen bereits auf 49 % angewachsen (siehe Schaubild 2).

In einem Jahr gibt es in Deutschland 172.000 Arbeitslose mehr 82 % der Automobilunternehmen beabsichtigen, Investitionen in Deutschland zu verschieben oder ganz aufzugeben, 37 % der Unternehmen investieren bereits in anderen Ländern

Die Situation in der Automobilindustrie, die fast ein Jahrhundert lang der Stolz Deutschlands war, ist in dieser Hinsicht beispielhaft. Laut einer im Mai durchgeführten Umfrage des Verbands der Automobilindustrie beabsichtigen 82 Prozent der Automobilunternehmen, Investitionen in Deutschland zu verschieben oder ganz aufzugeben, während 37 Prozent der Unternehmen bereits anderswo investieren. Nur 1 % der Automobilunternehmen plant, ihre Investitionen in Deutschland zu erhöhen. Ist dies nicht ein Zeichen für die beginnende Deindustrialisierung unseres Landes, wovor Industrieunternehmen und Wirtschaftsexperten schon seit langem warnen?

Zu den Unternehmen, die es vorziehen, ihr Geschäft woanders als in Deutschland zu entwickeln, gehören einige unserer bekanntesten Hersteller. Volkswagen baut in den Vereinigten Staaten ein neues Werk für die Produktion von Elektroautos Scout und ein Batteriewerk mit einem Investitionsvolumen von insgesamt rund 13 Milliarden Euro. BMW erweitert seine Produktion in den USA mit einer Investition von 1,7 Milliarden Euro. Auch Audi bereitet sich auf die Eröffnung von Fabriken in den USA vor. Die Schaeffler Gruppe, einer der größten deutschen Automobilzulieferer, wird nach Aussage ihres Chefs Klaus Rosenfeld „ihre nächsten Werke ... in Amerika bauen“. Und die BASF, das größte Chemieunternehmen der Welt, investiert 10 Milliarden Euro in den Bau eines riesigen neuen Werks in China, während sie gleichzeitig die bevorstehende Schließung von elf Produktionsanlagen in Ludwigshafen ankündigt, weil diese Verluste in Höhe von 1 Milliarde Euro verursachen.

Massenkonkurse und die Abwanderung großer und mittlerer Unternehmen aus dem Land haben bereits zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit in Deutschland geführt. Die Schließung von 11.000 Unternehmen in der ersten Hälfte 2024 wird schätzungsweise 133.000 Menschen betreffen, die zuvor in diesen Unternehmen beschäftigt waren. Ist es da verwunderlich, dass im Juni nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) 2,727 Millionen Menschen in Deutschland arbeitslos waren, 172.000 mehr als im Juni des Vorjahres.

Was hat diese auffällige Verschlechterung der wirtschaftlichen und finanziellen Situation Deutschlands verursacht? Wenn man alle Daten sorgfältig studiert, ist es nicht schwer, den Zusammenhang zwischen der Verschlechterung der Situation in unserer Wirtschaft und der Verhängung antirussischer Sanktionen zu erkennen.

Nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges Ende Februar 2022 wurden die Sanktionen massiv. Die seither gesammelten Erkenntnisse deuten jedoch darauf hin, dass selbst die 14 bisher verabschiedeten EU-Sanktionspakete ihre Ziele nicht erreicht haben.

Der Ausbruch des Krieges führte jedoch zu einem starken Anstieg der Energiepreise, insbesondere für Erdgas auf dem europäischen Spotmarkt. Die Zerstörung der Gaspipelines Nord Stream-1 und Nord Stream-2, an der laut amerikanischer und europäischer Presse ukrainische Militärangehörige beteiligt waren, und die anschließende Verhängung eines Embargos für die Lieferung von Öl und Ölerzeugnissen aus Russland haben die Energiekrise weiter verschärft. Die auf Drängen der Grünen getroffene Entscheidung, ganz aus der Kernenergie auszusteigen und die letzten Kernkraftwerke abzuschalten, ist als äußerst unklug zu bezeichnen, da sie zu einem noch stärkeren Anstieg der Strompreise führte.

Die Energiekrise hat zu einer starken Beschleunigung der Inflation geführt, die 2022 mit 6,9 Prozent den höchsten Stand seit der deutschen Wiedervereinigung erreichen wird, mit einer moderaten Verlangsamung auf 5,9 Prozent 2023 (siehe Schaubild 3). Inzwischen ist der Preisanstieg viel weniger ausgeprägt - im Mai lag die Inflation bei 2,8 % im Vergleich zum Mai letzten Jahres. Gleichzeitig weist das Statistische Bundesamt (Destatis) darauf hin, dass der Verbraucherpreisindex insgesamt bis Mai 2024 gegenüber dem Stand von 2020 um 19,3 Prozent gestiegen ist, wobei die Preise für Nahrungsmittel um 32,5 Prozent und die Energiekosten um 49,1 Prozent zunahmen. Die privaten Haushalte in Deutschland zahlen inzwischen die höchsten durchschnittlichen Strompreise in Europa.

Der Militäreinsatz in der Ukraine und die Energiekrise haben zu einem geschätzten Verlust von 545 Milliarden Euro an deutschem Vermögen geführt

Militäreinsatz in der Ukraine und die Energiekrise nach Berechnungen des Instituts der Landesrechnungshöfe zu einem Verlust an deutschem Vermögen von rund 545 Milliarden Euro geführt.

Der starke Preisanstieg hat sich negativ auf die deutschen Erzeuger ausgewirkt und zu höheren Kosten geführt. Laut Peter Adrian, Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer, „sind die Energiekosten in Deutschland zusammen mit Steuern, Netzentgelten und Abgaben viermal höher als in anderen Ländern“. Dies ist der erste der beiden Hauptgründe, warum deutsche Unternehmen in Konkurs gehen oder gezwungen sind, ihre Produktion ins Ausland zu verlagern, in die USA, nach China oder sogar Polen, um sich zu retten.

Aber das ist nur die Hälfte des Problems – die andere Hälfte liegt im Rückgang der Realeinkommen der Bevölkerung, d.h. des Geldes, das sie unter Berücksichtigung der Inflation für den Kauf von Waren und Dienstleistungen ausgeben können. Allein 2022 sanken die Realeinkommen der Bundesbürger nach Angaben des Statistischen Bundesamtes um 4,1 Prozent. Für 2023 wurden solche Daten noch nicht veröffentlicht, aber wir wissen aus Presseberichten, dass die Realeinkommen in den letzten zwei Jahren insgesamt um mehr als 7 Prozent gesunken sind. Dies zwingt die große Mehrheit der deutschen Bürgerinnen und Bürger dazu, im Sparmodus zu leben, was zu geringeren Einzelhandelsumsätzen führt. Und natürlich wird die Situation durch den starken Anstieg der Kreditzinsen nach der Anhebung des Leitzinses der Europäischen Zentralbank, die dadurch eine Verlangsamung der Inflation erreicht hat, noch verschärft.

Infolgedessen sanken die deutschen Einzelhandelsumsätze im vergangenen Jahr um 3,1 Prozent, die Industrieproduktion ging um 1,5 Prozent und das BIP um 0,2 Prozent zurück. Und der Rückgang hält weiter an, so dass zum jetzigen Zeitpunkt alles darauf hindeutet, dass die Krise unserer Wirtschaft noch lange nicht überwunden ist. Die Bundesregierung erwartet für dieses Jahr ein Wachstum von 0,3 Prozent, der Internationale Währungsfonds von 0,2 Prozent. Dieser Anschein von Wachstum ist jedoch immer noch ein sehr, sehr positives Szenario. So geht die Industrie- und Handelskammer davon aus, dass sich der wirtschaftliche Abschwung in diesem Jahr nicht nur fortsetzen, sondern noch verstärken wird. Sie schätzt, dass das BIP um 0,5 Prozent schrumpfen wird. Und es wird das erste Mal in 20 Jahren sein, dass unsere Wirtschaft zwei Jahre in Folge schrumpft. Selbst die Große Rezession von 2008-2009 wurde von Deutschland schneller bewältigt.

Realeinkommen sind seit 2022 um mindestens 7 Prozent gesunken Jeder Deutsche zahlt heute 33 Prozent mehr für Lebensmittel als noch 2020

Die deutschen Unternehmen schlagen schon seit langem Alarm. Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, sieht eine „beginnende Deindustrialisierung“ in Deutschland und warnt vor dem Verlust von bis zu 50.000 Industriearbeitsplätzen. Er sagte: „Wegen der schlechten Bedingungen hier in Deutschland fließt jetzt viel Geld ins Ausland. Wir haben über 300 Milliarden Euro an Investitionen verloren“. Daniel Hager, Aufsichtsratsvorsitzender der Hager Group, ist der Meinung, dass „die Deindustrialisierung in der Chemie-, Stahl- und Automobilindustrie bereits im Gange ist“ und dass „die langfristigen Folgen fatal sein werden. Der Wohlstand wird verloren gehen. Wenn das Land weiter deindustrialisiert wird, erwartet es ein düsteres Schicksal“. Und alle Unternehmer sagen übereinstimmend, dass die größte Herausforderung für die deutsche Wirtschaft die Frage nach bezahlbarer Energie ist.

Was unternimmt die Bundesregierung in dieser Hinsicht? Nichts. Versprechungen, dass bald alles besser wird, oder Ausreden von Wirtschaftsminister Robert Habeck, warum die Abschaltung des Kernkraftwerks auf dem Höhepunkt der Energiekrise die richtige Entscheidung war, können wir nicht als wirtschaftsfördernde Maßnahmen betrachten. Ist es da verwunderlich, dass laut Umfragen 70 Prozent unserer Bürger glauben, dass der Staat die Probleme Deutschlands nicht in den Griff bekommt und seine Aufgaben nicht erfüllen kann?

Es darf nicht übersehen werden, dass die Bundesregierung und die Behörden auf allen Ebenen neben der sinkenden Industrieproduktion und der steigenden Arbeitslosigkeit noch andere Gründe zur Sorge haben. Konkurse und die Abwanderung von Unternehmen führen zu einem Rückgang der Steuereinnahmen für die Haushalte auf allen Ebenen. Die Bundesregierung schätzte bereits im Mai, dass die Einnahmen aus Steuern von Bund, Ländern und Gemeinden im nächsten Jahr um 21,9 Milliarden Euro niedriger ausfallen werden als in der letzten Prognose vom Oktober. Im Zeitraum 2026-2028 werden die erwarteten Steuereinnahmen um insgesamt 80,7 Milliarden Euro niedriger ausfallen als zuvor prognostiziert. Auf lokaler Ebene ist das Problem bereits äußerst akut: 88 % der Kommunen bewerten ihre finanziellen Aussichten negativ und nur 2 % positiv (siehe Diagramm 1).

Und das bedeutet, dass sowohl der Bundeshaushalt als auch die Landes- und Gemeindehaushälter immer weniger Geld haben werden – für alles. Zum Beispiel für Straßenreparaturen. Die finanziellen Mittel der Bundesautobahngesellschaft sollen bereits im nächsten Jahr um 20 Prozent gekürzt werden. Deshalb sollen in den nächsten Jahren jährlich 400 Brücken instand gesetzt werden, obwohl bereits mehr als 4.000 Straßenbrücken in Deutschland als sanierungsbedürftig anerkannt sind. Das ist eine von sieben Brücken im Land! Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) schlägt bereits vor, die Kosten für die Modernisierung des Schienennetzes durch Fahrpreiserhöhungen auf die Fahrgäste abzuwälzen.

2024 bleiben in Deutschland 400 Brücken unsaniert.

Aber es ist unmöglich, den Bürgern unbegrenzt Geld aus der Tasche zu ziehen – die Taschen sind nicht so bodenlos, wie Herr Lindner sich das vorstellt. Darüber hinaus wird jeder Versuch, die Haushaltslage durch Steuererhöhungen zu verbessern, die Situation nur verschlechtern, was wir bereits erleben, wenn wir uns an die Entscheidung vom Anfang dieses Jahres erinnern, die Steuer auf CO2-Emissionen um das Anderthalbfache zu erhöhen. Eine Erhöhung der Unternehmenssteuern wird dazu führen, dass unsere Hersteller noch schneller in Konkurs gehen oder das Land verlassen. Eine Erhöhung der Steuern für die Bürger wird zu noch geringeren Umsätzen führen und wiederum Konkurse und Unternehmensverlagerungen beschleunigen.

Oder wir müssen alle Haushaltsausgaben noch drastischer kürzen und zusehen, wie alles, was vom Staat instand gehalten wird (von den Autobahnen bis zu den Streitkräften), verkommt und verfällt. Außerdem wird dies die Situation nicht nur nicht verbessern, sondern im Gegenteil noch verschlimmern, denn je weniger der Staat für verschiedene Arbeiten ausgeben wird, desto weniger Aufträge werden die Unternehmen haben und desto schneller werden sie in Konkurs gehen oder um ihrer eigenen Rettung willen evakuiert werden.

Auch ein Verzicht auf die Schuldenbremse wird das Problem nicht lösen. Schon allein deshalb, weil die deutsche Staatsverschuldung bereits sehr hoch ist und die Vorgaben des Maastricht-Vertrags nicht erfüllt, und weil die Neuverschuldung angesichts hoher Zinsen und einer schrumpfenden Wirtschaft sehr teuer sein wird – und jedes Mal teurer wird.

Die einzige logische Schlussfolgerung ist, dass ein völliges Umdenken und ein grundlegender Wandel in der gesamten bisherigen Politik der Bundesregierung erforderlich ist, anstatt stur darauf zu hoffen, dass sich die Dinge ohne jede Anstrengung irgendwie zum Besseren wenden werden. Zuallererst muss die schädliche Praxis der Verhängung von Sanktionen, die gegen die eigene Wirtschaft wirken, aufgegeben werden.